In unserer Erziehung und Ausbildung werden wir getrimmt, rational zu denken. Nur das, was tatsächlich erklärbar und am besten wissenschaftlich nachweisbar ist, hat für uns Gültigkeit und kann in den Augen der anderen standhalten.
Ist das wirklich so? Meine ganz persönliche Erfahrung ist eine vollkommen andere:
Es gibt so viele Realitäten, wie es Menschen gibt.
Mythos Realität
Kennen Sie das? „Du bist viel zu schnell unterwegs!“ Dabei habe ich noch nicht einmal die erlaubte Höchstgeschwindigkeit auf dem Tacho. In meinen jungen Jahren konnte ich die Realitäten meiner Frau kaum fassen und ich bin heute überzeugt, dass es ihr mit mir genauso erging. Ich habe dann bald erkannt, dass die gefühlte Realität für jeden auch die tatsächliche ist. Die Realität ist also eine ganz individuelle Angelegenheit.
Die Alleinherrschaft der Fakten
Als ich in meinen Anfangsjahren mit Design Tech zum ersten Mal einen niedrigen fünfstelligen Minusbetrag auf meinem Konto hatte, ging bei mir fast die Welt unter. Das war meine gefühlte Realität und somit für mich eine objektive Tatsache. Ich hatte viele Gründe, warum dieser Minusbetrag meine Existenz bedrohte. Ich konnte es jedem erklären. Mit echten, stichhaltigen und nachvollziehbaren Fakten. Heute ist mir klar, dass dieses bedrohliche Gefühl ein Mix aus Zahlen und Emotionen war und somit meine ganz persönliche Realität.
Jeder hat s e i n e eigene Realität
Ich habe mich gefragt, welche Chancen diese Erkenntnis für mich bereithält und bin auf folgendes Denkmodell gestoßen: die Grunderkenntnis war also, dass Tatsachen neben den Fakten immer auch eine emotionale Bewertung und somit eine weitere Dimension haben, die wir gelernt haben zu verleugnen.
Diese angelernten Muster, den Fakten die Macht zu geben, hat weitreichende Folgen. Es besteht nämlich immer die Gefahr, dass wir unsere eigenen Gefühle und Wahrnehmungen bei einer Bewertung unterschätzen oder gar nicht berücksichtigen.
Wie erkenne ich m e i n e Realität?
Nach meinen ersten Fehlschlägen, ein Team für Industrial Design aufzubauen, hat mir ein erfahrener Unternehmer folgende Frage gestellt: „Wie gehen Sie bei einem Bewerbungsprozess vor? Sie bewerten Zahlen, Daten und Fakten des Bewerbers und treffen eine positive Entscheidung, wenn die Ausbildung, die Noten, die Referenzen und der persönliche Auftritt stimmen. Diese Fakten sind sehr rational, erklärbar und nachvollziehbar. Trotzdem greifen Sie viel zu oft daneben und die Entscheidung stellt sich bereits nach den ersten Wochen als Fehlgriff heraus, den Sie anfänglich nicht wahrhaben wollen, denn die Fakten waren eindeutig!“
Was habe ich im Entscheidungsprozess vernachlässigt?
Unser Bauchgefühl haben wir mit rationalen Kriterien totgeschlagen. Meine Maxime: „Wenn alle Fakten perfekt stimmen und ich habe dennoch ein unbestimmtes ungutes Gefühl, dann unterschreibe Ich den Vertrag nicht.“
Fakten und Gefühl
Wenn ich eine Entscheidung treffe, sammle ich so viele Informationen wie möglich zu diesem Thema, dann gebe ich mir etwas Zeit, schlafe eine Nacht darüber und befrage in einer ruhigen Minute mein Bauchgefühl. Wenn dann beide Dimensionen, die Fakten und das Gefühl, im Einklang sind, bin ich bereit.
Ihr Jürgen R. Schmid
Design Tech
Lieber Jürgen, das Bauchgefühl lässt sich nicht umgehen. Da bin ich genau gleicher Ansicht. Vor ca. 15 Jahren habe ich entschlossen, als erstes Entscheidungskriterium das Bauchgefühl „wählen“ und entscheiden zu lassen.
Lieber Jörg, hierzu gibt es ein tolles Buch: Bauchentscheidungen von Prof Girgenzer vom Max Plank Institut.