Vor Weihnachten habe ich einige Wünsche per Post an meine Freunde verschickt: „Ich wünsche Dir, lieber Wolfgang, besinnliche Weihnachten und erholsame Feiertage“ – so oder so ähnlich habe ich geschrieben und ich denke, dass ich nicht der einzige bin, der mit Weihnachten Besinnlichkeit verbindet. Wir machen uns Geschenke, schmücken den Weihnachtsbaum, zünden Kerzen an, nehmen uns Urlaub und essen traditionsgerecht unser Weihnachtsgericht. Jetzt könnte man annehmen, dass damit alle Voraussetzungen geschaffen waren, um entspannt mit Familie und Freunden zusammenzusitzen und in der Zwischenzeit auch noch Zeit war, um unser Lieblingsbuch zu lesen, das wir für diese Zeit der Ruhe schon bereithalten. So habe zumindest ich die beiden Wochen ab dem 24. Dezember verbracht.
Gehen in unserer Gesellschaft jetzt endgültig die Lichter aus?
St. Blasien (dpa) – In sechs Gemeinden im Hochschwarzwald gehen am Abend für eine Stunde die Lichter aus. Mit der ungewöhnlichen Aktion wollen die Kommunen ein Zeichen setzen für Entschleunigung, Besinnung und Phasen der Erholung, wie ein Sprecher der Hochschwarzwald-Tourismus-Gesellschaft. Bürger seien aufgerufen, auf elektrisches Licht zu verzichten. Angeboten werden in der Zeit Laternen- und Fackelwanderungen. Die Aktion mit dem Titel „Licht aus!“ finde zum ersten Mal statt und beschränke sich auf den Hochschwarzwald.
(Süddeutsche Zeitung 15.januar 2017)
Herdentiere
Als ich diese Nachricht gehört habe, gingen mir zwei Gedanken durch den Kopf: Haben wir Weihnachten verpennt oder ist das ein Marketing-Gag der Touristikbranche? Beides macht mich nachdenklich, denn irgendetwas muss dran sein an dieser Aktion, sonst könnte man nicht den gesamten Hochschwarzwald gewinnen, um Mitte Januar bei Kerzenlicht und Fackel gemeinsam zu „entschleunigen“. Brauchen wir diesen Impuls von außen, um uns selbst zu finden? Vielleicht könnte auch eine App helfen, uns anzuleiten und daran zu erinnern, dass wir von Zeit zu Zeit aus unserem Hamsterrad aussteigen um zu reflektieren. Ich bevorzuge einen sorgsamen Umgang mit mir selbst, Eigenverantwortung statt Assistenzsysteme und Selbstbestimmung statt Fremdsteuerung.
Kontrollverlust
Vielleicht haben wir etwas falsch verstanden, wenn wir immer mehr Freizeitstress haben in Zeiten der beruflichen Überforderungen und des Burnout. Beim Burnout handelt es sich ja schließlich nicht nur um berufliche Überforderung , sondern vielmehr um Kontrollverlust und den fehlenden persönlichen Sinn in allen Lebensbereichen. Warum machen wir das, was wir täglich tun? Diese Frage braucht eine Antwort, um uns vor uns selbst und den scheinbaren Forderungen unserer Außenwelt zu schützen.
Freizeitstress
Für mich ist es ein Alarmzeichen, wenn wir mit wenig Verstand und noch weniger Sinn die Weihnachtszeit derart mit Aktionen und Konsum vollpacken, dass wir in dieser hervorragend geeigneten Zeit nicht mehr über unseren ganz persönlichen Sinn nachdenken, wenn Fluchtverhalten anstelle von Besinnlichkeit rückt, weil wir die Stille mit uns selbst nicht mehr aushalten.
Selbstbestimmung
Zugegeben, es ist schwierig , das Leben mit sich selbst auszuhalten. Auch ich selbst bin mir manchmal zu wenig, und suche den Trubel. Aber jedesmal, wenn ich den Mut habe, mit mir alleine zu sein, mache ich interessante Entdeckungen. Trotz meiner Verwunderung: Die sechs Gemeinden im Hochschwarzwald machen auch etwas richtig: Entschleunigung ist eine ständige Herausforderung in unserer schnellen Zeit, nicht nur am Jahresende. Jede Zeit ist geeignet, um sich selbst zu finden.
Schöpferkraft
Denn in der Hektik des Tagesgeschäftes können wir bestenfalls „funktionieren“, aber nichts Neues hervorbringen. Entschleunigung braucht eine bewusste Entscheidung. Sie passiert nicht automatisch. Mir selbst helfen Rituale, und nicht selten gelingt es mir nur mit Disziplin.
Ich brauche die Ruhe und eine entspannte Situation, um als Designer für den Maschinenbau neue Ideen zu entwickeln.
Jürgen R. Schmid
Design Tech